Gestern gedachten wir der Opfer von Krieg, Vertreibung und Gewalt.
Ich möchte mich bei allen Beteiligten, insbesondere bei den Abordnungen der Vereine und Verbände für die feierliche Umrahmung der Gedenkveranstaltung bedanken.
Hier meine Rede:
Liebe Dorffamilie, sehr geehrte Damen und Herren,
der Volkstrauertag ist ein Tag des stillen Gedenkens an alle Opfer von Krieg und Gewalt und zugleich ein Tag der Besinnung, wie wir heute auf Krieg, Gewalt und Terror reagieren, was wir heute für Frieden, Freiheit, Gerechtigkeit und Menschlichkeit bei uns und in der Welt tun können. Nicht nur die Tradition, sondern die Einsicht beantwortet immer wieder geäußerte Zweifel, ob wir diesen Gedenktag – 76 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkrieges – noch brauchen.
Ja, wir brauchen ihn, aus Respekt vor den Millionen Opfern von Krieg und Gewalt. Wir brauchen diese Momente des Innehaltens, genauso wie wir Orte des Gedenkens brauchen, damit das, was geschehen ist, nicht verdrängt wird. Das nationale Gedächtnis, das eine identitätstiftende Wurzel unseres Verständnisses von Staat und Gesellschaft ist, braucht Stützen der Erinnerung. Gedenktage wie Denkmale bringen zum Ausdruck, welche Ereignisse und Erfahrungen unserer Geschichte wir im Bewusstsein auch künftiger Generationen bewahren und lebendig halten wollen.
Die Geschichte des Volkstrauertages ist älter als die Geschichte der Bundesrepublik. Sie geht zurück auf eine Anregung des Volksbundes Deutscher Kriegsgräberfürsorge aus dem Jahre 1920. Damals ging es darum, an die Toten des Ersten Weltkrieges zu erinnern. Verbunden damit war die Hoffnung, dass die Erinnerung an den Schrecken und das millionenfache Leid des Krieges den Frieden unverbrüchlich machen würde. Diese Hoffnung wurde weniger als zwanzig Jahre später grausam enttäuscht. Erst nach dem vom nationalsozialistischen Deutschland entfachten Zweiten Weltkrieg ist sie jedenfalls in Europa weitgehend Realität geworden. „Weitgehend“, weil wir beschämt zugeben müssen, dass es der europäischen Staatengemeinschaft nicht gelungen ist, am Ende des 20. Jahrhunderts Völkermord und Krieg im ehemaligen Jugoslawien zu verhindern. Schließlich war Gewalt einmal mehr nur durch Gewalt zu stoppen.
Die Europäische Union und ihre Vorläufer, die EWG und die Europäische Gemeinschaft, haben ihre Wurzeln in dem festen Vorsatz, aus dem kriegsgeschüttelten Kontinent ein freiheitliches, friedliches Europa zu machen. Inzwischen haben die Bürger, die in den EU-Staaten leben, eine mehr als siebzig Jahre währende Periode des Friedens erlebt. Das Projekt Europa ist ein beispielloser Erfolg, der auch auf anderen Kontinenten Beachtung und Bewunderung gefunden hat.
„Versöhnung über den Gräbern“ – heißt es im Motto des Volksbundes Deutsche Kriegsgräberfürsorge, der heute in über 40 Staaten rund zwei Millionen Soldatengräber betreut. Der Volksbund hat es sich zur Aufgabe gemacht, die Gebeine gefallener Soldaten zu bergen und würdevoll zu bestatten. Für die Angehörigen der Toten ist dies eine außerordentlich bedeutsame Arbeit: sie gibt ihrer Trauer einen Ort. Ich bitte Sie diese Arbeit zu unterstützen, in der Tankstelle sammelt der Volksbund in diesem Jahr bis Ende November, jeder Euro ist wichtig.
Zerstörte Lebensläufe, zumindest aber gestörte Lebensläufe – solch persönliche Tragödien trafen auch Millionen Deutsche, die nach dem Zweiten Weltkrieg vertrieben wurden. Viele verloren nicht nur die Heimat, sondern auch ihr Leben. Die meisten von ihnen waren persönlich unschuldige Opfer eines verheerenden Krieges, der zweifellos von Deutschland verursacht und verschuldet war. Auch die Vertriebenen haben Anspruch darauf, dass wir uns ihres Schicksals erinnern, dass wir sie in ihrer Trauer nicht allein lassen, sondern im nationalen Gedächtnis bewahren, was Folge unserer gemeinsamen Geschichte war und bleibt.
Erinnerungskultur ist die bewusste Verbindung von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Ob wir die Lektionen der Vergangenheit gelernt haben, ist noch offen. Aber wir entscheiden mit darüber, wie das 21. Jahrhundert verlaufen wird.
Der Volkstrauertag ist ein Tag der Erinnerung und der Besinnung: der Erinnerung an Krieg und Gewalt und des Gedenkens an die Toten. Wir verneigen uns in Trauer vor ihnen und bleiben ihnen verbunden in der dauerhaften Verpflichtung für Frieden, Freiheit, Demokratie und Menschlichkeit.
Hier die Rede der Kirchengemeinde:
Ich habe für die heutige Ansprache zum Volkstrauertag einen Vers aus Psalm 50 ausgewählt.
In Vers 15 dieses Psalmes heißt es:
„Rufe mich an in der Not, so will ich dich erretten, und du sollst mich preisen.“
Dieser gesamte Psalm stellt die Situationen und Umstände unseres Lebens in das Licht der Hilfe und des Beistandes durch Gott. Und auch in diesem Vers 15 geht es um unser Verhältnis zu Gott und um die Bewahrung unseres Lebens durch seine Güte und Rettung.
Und damit ist auch die Bedeutung dieses Textes für uns heute und für den heutigen Tag angesprochen.
Der Blick auf Gott hilft uns dabei, einen Weg für unser Leben zu finden und einen Weg für ein gelingendes Miteinander in unserer Gesellschaft und in unserem Land.
Wir haben uns hier heute versammelt, um der Toten aus zwei Weltkriegen zu gedenken. Dieser Tag hat eine gute Tradition in unserem Land.
So wie hier, versammeln sich heute die Menschen an unzähligen Ehrenmälern und Denkmälern, in Kirchen und Versammlungshäusern, um die Erinnerung an diejenigen wachzuhalten, die in zwei grausamen Weltkriegen ums Leben gekommen sind.
Wie auch ich persönlich, so kennen viele der heute Lebenden diese Zeit nur noch aus Erzählungen von Eltern oder Großeltern. Gerade das macht jedoch den beständigen Blick auf die Geschichte unseres Volkes und die Erinnerung an die Toten so wichtig. Immer wieder nehmen wir ja mit Entsetzen wahr, wie junge Menschen in unserem Land die Geschichte verklären und wieder mit den alten Parolen durch die Straßen ziehen. Das zeigt uns, wie wichtig es ist, die Erinnerung wach zu halten und die Geschichte unseres Volkes so zu sehen, wie sie gewesen ist. Und es zeigt uns, wie wichtig es ist, einen Haltepunkt und einen Wegweiser für ein gelingendes Miteinander zu haben.
Und so wie unser Blick heute zurück geht in die Geschichte unseres Volkes, so läßt uns der heutige Tag auch an die vielen anderen Völker überall auf dieser Welt denken, die das Leid und die Grausamkeiten der vielen Kriege auch in unseren Tagen erdulden müssen.
Das Gedenken, das mit dem heutigen Tag verbunden ist, ist damit einmal das Gedenken an unsere gefallenen Soldaten; es ist aber zum anderen auch das Gedenken daran und die Trauer darüber, was Menschen auch heute noch einander antun.
Genau in dieser Situation holt uns der biblische Text ab. Er lenkt unseren Blick über das Leid und über die Gräber hinaus und schenkt eine Verheißung:
„Rufe mich an in der Not, so will ich dich erretten.“
Diese Zusage und diese Verheißung, haben auch heute noch nichts von ihrer Kraft und ihrer Aktualität eingebüßt.
Diese Verheißung rückt auch das Gedenken an die Schrecken des Krieges und an die Toten dieser Kriege – damals, wie auch heute – in ein anderes Licht. Es erscheint am Horizont ein Lichtblick, der die Dunkelheit erhellt.
Dabei sind hier Lebensperspektiven im Blick, die von Gott bei allem menschlichen Unvermögen geschenkt werden.
Nicht das Stehenbleiben bei der Zahl der getöteten Soldaten, nicht das Stehenbleiben bei den Gräbern, sondern eine Perspektive über das Töten und über den Tod hinaus, das ist die Botschaft des Textes für uns heute und den heutigen Volkstrauertag.
Diese Verheißung der Hilfe Gottes nimmt die Erinnerung an die Geschichte unseres Volkes und die Trauer über die Opfer der Kriege sehr ernst. Sie verbindet sie jedoch mit dem Blick nach vorne auf die vor uns liegenden Aufgaben. Und damit verbindet sich das Gedenken an die Opfer und an die Schrecken der Kriege mit unserem Alltag und mit unseren Anstrengungen für ein friedliches Miteinander in unserem Volk und auch darüber hinaus.
Die Denkmäler in unserem Land und die jährlichen Gedenkfeiern erinnern uns daran, daß es fortwährender Anstrengungen bedarf, um das friedliche Miteinander der Menschen zu bewahren.
Der biblische Vers endet mit der Aufforderung, Gott zu preisen. Wer nicht bei dem Töten und bei der Gewalt stehenbleibt, sondern Perspektiven für ein friedliches Zusammenleben erarbeitet, der hat auch Grund, dieser Aufforderung Gottes nachzukommen, und Gott zu preisen für die Hilfe und den Beistand, den er uns dabei schenken will.
Amen