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Alle Schwarzenauer kennen sie. Täglich haben wir sie vor Augen. Aber wann,von wem und zu welchem Zweck wurde sie gebaut? Die Alte Fabrik inSchwarzenau.

Der Schwarzenauer Christian Ludwig Herling (Jahrgang1868, oben im Bild) war Prokurist der SchuhleistenfabrikHartmann in Arfeld.
Als er sich im Jahr 1901 selbstständig machen wollte, baute erdas untere Gebäude der Alten Fabrik. Vier Jahre später folgte derobere Teil.Gemeinsam mit einigen Kollegen der Firma Hartmann nahm Herling die Schuhleistenproduktion in Schwarzenau auf. Die ersten Arbeiter waren Christian Julius, Heinrich Schneider, Heinrich Minke, Carl Herling, Wilhelm Frank, Robert Schmidt und Ludwig Frank.Bauplaner der beiden Gebäude war Heinrich Rompel aus Schwarzenau. Auch ein Bauunternehmer war erforderlich, um Gebäude dieser Größenordnung zuerrichten. Wie gut, dass Christian Herling, der „Obere Billinger“, in direkter Nachbarschaft zu Johann Gernand, dem „Unteren Billinger“,wohnte, der wiederum gemeinsam mit seinem Sohn Heinrich Wilhelm (1856–1951,Urgroßvater von Luise Heinrich) ein kleines Baugeschäft führte. Die Bauunternehmer Gernand erhielten den Auftrag und errichteten 1901 und 1905 die beiden Gebäude der Alten Fabrik. Fabrikant setzt auf fortschrittlichen Antrieb als die Schuhleistenfabrik ihre Produktion aufnahm, gab es noch keine öffentlicheWasserversorgung, so dass diese privat organisiert werden musste. Offensichtlich bezog das Fabrikgebäude das Wasser aus einer Quelle (Born) oberhalb des Hambach-Bachs. Von dort aus führte eine Leitung aus Bleirohren zu einem„Hochbehälter“ oberhalb der Alten Fabrik. An dieses aus Ziegelsteinen gemauerte Bassin-das heute noch erkennbar, aber mit Sträuchern zugewachsen ist-war die Fabrik angeschlossen. Als die Bleirohre nicht mehr genutzt wurden,wurden sie wieder ausgegraben, um in verschiedenen Schwarzenauer Häusern als Hauswasserleitungen zu dienen.Auch eine öffentliche Stromversorgung gab es damals nicht. Fabrikant Herling wählte eine für die damalige Zeit sehr fortschrittliche Antriebsform, um die Drehbänke und Bandsägen anzutreiben, mit denen die Schuhleisten gefertigt wurden.Bereits 1901, also im Baujahr des ersten Gebäudes, kaufte Christian Herling die Lanz Lokomobile FA Nr. 10846 (Dampfmaschine, 10 PS, 7 ATÜ,Schornstein 14 Meterhoch) zum Betrieb einer Transmissionswelle, an die die Maschinen angeschlossen wurden.
Doch schon nach dem Bau des oberen Gebäudes im Jahr 1905 war die Leistungsfähigkeit der Lanz-Lokomobile nicht mehr ausreichend, so dass diese durch eine Lanz-LokomobileZGH Nr. 15368 (10 ATÜ) mit 20 Meter hohem Schornstein ersetzt wurde. Beheizt wurden die Dampfmaschinen mit Holzabfällen der Schuhleistenherstellung. Wie zu dieser Zeit üblich wurde die Beleuchtung sicher mit Petroleumlampen gewährleistet .In den ersten Jahren machte die neue Firma Herling guten Umsatz. Bei internationalen Ausstellungen in London und Paris in den Jahren 1903 und1908 fand sie große Beachtung und bekam Auszeichnungen. Doch es folgten wirtschaftlich schwierige Zeiten. Im Jahr 1911 meldete Christian Herling den Konkurs seiner Firma an. Am 8. März1912 fand die Versteigerung im Königlichen Amtsgericht von Berleburg statt. Nicht nur für den Firmeninhaber, sondern auch für seinen Bruder Karl Herling („Oberste Billing“) und die Schwiegereltern, Familie Richstein im Hüttental, hatte der Konkurs schwerwiegende Folgen. Als Bürgen mussten beide dieVerbindlichkeiten zahlen und in der Folge ihre Häuser verkaufen. Das „Billinger Haus“ wurde später wieder zurückgekauft. Christian Herling verließ Schwarzenau und übernahm eine Kiesgrube in Brandenburg. Direkt nachdem Konkurs von Christian Herling im Jahr 1912 übernahm die Firma Georg Hartmann fast den gesamten Maschinenpark und die Arbeiterschaft. Anschließend ersteigerten die Firmeninhaber August Hartmann(1882-1961) und Ernst Hartmann(1885-1952) auch die Gebäude der Alten Fabrik. Ob die neuen Eigentümerin Schwarzenau jemals Schuhleistenproduziert haben, ist nicht bekannt. Das wird selbst von den Nachfahren,Enkel Paul-Helmut Hartmann und Hans-Georg Hartmann, die dazu befragt wurden, bezweifelt. Auf jeden Fall aber wurde die Alte Fabrik ab 1924 als Werkswohnung genutzt. Vermutlich sollte durch den Kauf nur verhindert werden, dass andere Wettbewerber das Gebäude übernehmen und der Firma Hartmann wieder Konkurrenz machen könnten.
Text von Karl-Heinz Bender
Audio erstellt mit NotebookLM
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